(Kurzgeschichte, 2002)
Michelle muss vollkommen verrückt sein! Ein bisschen gesponnen hat sie ja schon immer … sie hat leider diese Star Wars- und Obi-Wan-Macke, träumt von Jedi-Rittern mit Lichtschwertern! Natürlich ist sie sich viel zu fein für ganz normale französische Männer. „Nein, Mama, ich will diesen Beamten vom städtischen Wasserwerk nicht … und auch nicht den Lehrer. Nein, Mama, ich liebe keinen von beiden …“
Und dann fiel ihr auf einmal eine ganz neue Marotte ein: Heylanische Philosophie! Als wenn eine hübsche Frau so was braucht!
Wenn es nach mir gegangen wäre … Paul hätte mir als Schwiegersohn schon gefallen. Er grüßt immer so nett, sieht tadellos gepflegt aus … und er wird irgendwann das entzückende kleine Bistro am Markt erben. Michelle hätte es so gut gehabt! Immer genug Krediteinheiten!
Ich weiß doch, was es heißt mit einem schlecht bezahlten Bibliothekar verheiraten zu sein, der obendrein nur Sinn für seine Schmöker hat und seiner Tochter völlig überflüssige Schnapsideen in den Kopf setzt … so was wie heylanische Philosophie!
Aber das war wohl eher dieser Professor Andal. Mit dem hat alles angefangen … mit seiner heylanischen Philosophie und seinem kostenlosen Privatunterricht in Mentalkontrolle. Man müsste so was glatt verbieten: Außerirdische, die anständigen Menschen die gut bezahlten Professorenstellen vor der Nase wegschnappen und den Studenten irgendwelchen Müll eintrichtern. Meine Michelle hat nur noch Flausen im Kopf, seit sie diesen Andal kennt. Sie wollte sogar in den Ferien nach Heyla, als wenn jemals einer aus unserer Familie sich so eine teure Reise geleistet hätte! Ich habe gesagt, dass bei dem mickrigen Einkommen ihres VAaters so was nicht drin wäre und basta! Da hat sie den ganzen heylanische Philosophiequatsch wie eine Verrückte gebüffelt und leider ihre ersehnte Reise ins gelobte Land als Auszeichnung gekriegt.
„Nein!“ habe ich sofort protestiert. „Das kommt überhaupt nicht infrage … noch mehr Umgang mit diesen arroganten Pinselohren und sie wird uns nur noch für bescheuert halten! Für die ist doch die ganze Menschheit dumm und unterentwickelt …“ Aber nein, ihr lieber Papa musste es ihr erlauben und nun …
Sie ist einfach mit so einem dürren, grünblütigen Kerl zur Erde zurückgekommen! Der hat sich doch glatt erdreistet, dem netten Paul zu verbieten, meiner Tochter Blumen zu schenken, weil meine kleine Michelle nun seine Gemahlin sei und es nicht richtig wäre, dass er sie immer noch sexuell begehrt! Er hat es einfach so ausgesprochen und der arme Paul ist knallrot geworden und mitsamt seinen Blumen geflüchtet.
Ich hätte den Kerl erwürgen können!
Ja, es tut mir Leid, ich habe den halben Raumhafen zusammengeschrien … aber was sollte ich denn sonst machen? Meine einzige Tochter hat, ohne mich zu fragen ein Alien geheiratet! Natürlich habe ich dem verdammten Pinselohr den Mund verboten und von meiner Tochter verlangt, dass sie sich auf der Stelle scheiden lässt. Sie hat es einfach abgelehnt … und außerdem behauptet, dass das wegen der mentalen Bindung überhaupt nicht möglich wäre. Verdammte Heylaner! Ich möchte bloß wissen, was sie an dem krakeligen Kerl findet? Er ist groß, knochig und obendrein auch noch schwarz wie die Nacht … und dann diese Haare an den Ohren!
Ich bin bestimmt keine Rassistin, aber wenn Michelle schon unbedingt einen Außerirdischen nehmen muss … muss der dann auch noch pechschwarz sein? Und dunkelgrüne Lippen haben …A und eine grüne Zunge! Igitt! Von so etwas lässt sich meine süße blonde Tochter auch noch küssen! Das ist doch ausgesprochen eklig und völlig pervers! Ich möchte gar nicht wissen, was an dem Kerl noch alles grün aussieht … und wahrscheinlich riesengroß ist.
Dabei hat Michelle sich jahrelang wie ein Püppchen Rührmichnichtan aufgeführt. Sie war so zickig, dass ich schon befürchtete, dass sie gar keinen Mann abkriegt. Nur deshalb habe ich mich doch für sie auf die Suche gemacht! Dieses ganze überempfindliche Getue hat so genervt … und nun.
Nur eine echte Schlampe wirft sich schon nach wenigen Tagen einem wildfremden Kerl an den Hals … und nur eine neugierige Oberschlampe tut es mit einem Außerirdischen … lässt sich so ein grünes Ding überall hereinschieben und missachtet unsere netten französischen Männer.
Und alles hat mit dieser widerlichen heylanischen Philosophie angefangen! Man sollte so etwas gar nicht erst an unseren Universitäten lehren! Als wenn wir Menschen nicht unsere eigenen Philosophen hätten … und nette Männer wie Paul! Dieser dürre, pinselohrige Neger sieht wie ein richtiger Hungerleider aus, da wird sich Michelle ihre schicke Kosmetik und das alles abschminken können … von mir kriegt sie jedenfalls nichts mehr! Ich möchte nur wissen, in welchem Kaff sie den Kerl aufgelesen hat. Wie der mich angesehen hat, als ich von Michelle verlangt habe, dass sie sich scheiden lässt! Seine schwarzen Augen haben auf einmal richtig geglüht … nach heylanischem Umahaij sah das nicht gerade aus!
Und mein vertrottelter Mann meinte auch noch, dass ich hirnrissig wäre und er den Ehemann seiner Tochter sehr gern kennen lernen würde. Ich jedenfalls pfeife auf einen Schwiegersohn in seltsamen Klamotten, mit behaarten Ohren und eineAm riesengroßen grünen …
Das Schlimmste war: Meine kleine Michelle ist einfach mit ihm weggegangen! „Ich bin nicht mehr eure Tochter! Wenn ihr meinen Ibor ablehnt, bin ich nicht mehr eure Tochter!“ Danach ist ihr feiger Sack von Papa aufs Klo verschwunden und nicht wieder aufgetaucht … es gab leider eine Hintertür. Wahrscheinlich besäuft er sich jetzt gerade irgendwo, während ich vor Wut Torte in mich hineinstopfe und am liebsten diese arroganten Heylaner mit Stumpf und Stiel ausrotten möchte! Wer braucht solche Affen schon, ihre dämliche Mentalkontrolle, ihr stinklangweiliges, hochtrabendes Getue oder gar ihre abartige Philosophie! Die Menschheit wäre ohne Heylaner viel besser dran!
Jetzt ist es schon ganze sieben Wochen her und meine Michelle ist tatsächlich nicht wieder nach Hause gekommen. Mein Mann ist neuerdings dauernd unterwegs … und wenn er zu Hause ist, liest er irgendwelche unverständlichen Datenträger über irgendwelchen heylanischen Unsinn! Wie es aussieht, hat er sich mit dem Pinselohr arrangiert. Aber ich werde das nicht tun! Niemals! Und jetzt sitze ich unauffällig in der Mensa und versuche, meine Tochter allein abzupassen. Da kommt sie ja endlich … und natürlich wieder mit ihrem Kerl! Wahrscheinlich studiert der auch hier, denke ich und sehe auf einmal, wie die Studenten ihn ehrfürchtig grüßen: „Guten Tag, Herr Professor Ibor!“
„Hätten Sie bitte einen Augenblick Zeit, Herr Professor!“
„Danke für die Zusatzliteratur, Professor Ibor!“
Hätte Michelle nicht gleich sagen können, was für ein großes Tier sie sich geangelt hat? Nun hat sie auch ausgesorgt, sogar viel besser als ich. Vielleicht sollte ich dem Schnösel doch verzeihen, dass er kein Mensch ist und womöglich irgendwann nach Heyla zurückkehrAt und mein armes Kind in die Wüste verschleppt … obwohl ich natürlich immer noch nicht verstehe, was sie an dem grünblütigen Kerl findet.
Jetzt sieht er mich auch noch und will mich begrüßen, aber Michelle hält ihn fest. „Diese Frau ist nicht mehr meine Mutter“, sagt sie ganz kalt. „Ich will mit dieser Rassistin nichts mehr zu tun haben!“ Also, ich finde das ungerecht. Ich habe doch gar nichts gegen Heylaner, solange sie auf ihrem eigenen staubigen Planeten bleiben und unsere Mädchen in Ruhe lassen, sie nicht mit ihrer verdammten Philosophie einwickeln und ihrer eigenen Mutter entfremden … und ihre gewissen grünen Körperteile ausschließlich in die passenden grünen Öffnungen ihrer eigenen Frauen stecken.
Aber halt! Wenn dieser Ibor Professor ist, wieso verlangt Michelle dann immer noch Taschengeld von uns? Ihr Pinselohr ist doch viel reicher als wir, da wird er doch für seine „Gemahlin“ allein aufkommen können … oder? Am besten, ich frage ihn gleich, aber nun verschwindet er leider mit schnellen Schritten durch eine Tür … und Michelle zeigt mir einfach die kalte Schulter, sieht mich nicht einmal an! Am besten ich gehe heute Abend zu ihr in ihre Studentenbude und stelle sie zur Rede!
Ich hasse den Kerl! Nein, diesmal nicht das Pinselohr, sondern meinen verlogenen Ehemann. Ich habe es satt, mich ausnutzen und zum Narren halten zu lassen! Heute Abend bin ich zu Michelle gegangen, um sie zu fragen, ob sie was braucht, ob der verdammte Heylaner sie auch anständig behandelt … und nicht etwa eine Gehirnwäsche mit ihr angestellt hat. Warum dieses geizige Pinselohr Geld von uns verlangt, obwohl es viel reicher ist als wir … und warum es nicht wenigstens ihre Studentenbude bezahlt. Ich habe mich richtig in meine Wut reingesteigert und dann sehe ich den Briefkasten im Flur, an demA „Marcel Maras“ steht!
„Wie kommt der Name meines Mannes an Michelles Tür?“, denke ich noch ganz irritiert und dann kommt die Concierge aus ihrem Glaskasten und klärt mich genüsslich auf: „Die Frau Professor ist doch schon vor sieben Wochen ausgezogen … in eine piekfeine Gegend übrigens … nur Villen und Etagenwohnungen.“ Ich starre die Alte entgeistert an, frage, wer jetzt hier wohnt. „Ach, da ist Michelles Vater mit seiner jungen Frau eingezogen. Die Arme hat es nicht leicht. Er ist ja so viel unterwegs auf Geschäftsreise! Aber das Mädchen ist hübsch und nett … und sehr ordentlich! Solche Mieter haben wir gern!“
Mein Gott war ich blöd! Deshalb war der Kerl so viel unterwegs! Mein findiger Ehemann steckt das Geld für die Miete und Michelles Taschengeld einfach in die eigene Tasche und finanziert davon sein Liebesnest!
Am liebsten würde ich ja Sturm klingeln und es der verdammten Schlampe richtig zeigen! Aber wenn ich mir so ein gertenschlankes, blondes, vollbusiges junges Ding vorstelle … ich weiß doch, wie ich früher aussah und was meinem Marcel gefällt. Und jetzt bin ich alt … und fett, weil ich so oft wütend bin, weil ich dann jedes Mal Hunger kriege, weil niemand auf mich hört, weil mich niemand richtig beachtet … weil mein Schwerenöter von Ehemann sich einfach eine Geliebte zugelegt hat und meine versnobte kleine Tochter zu einem hochnäsigen, pinselohrigen Alien gezogen ist!
Die Schlampe hier wird mich ansehen, bemerken, dass in jeder Beziehung der Sonntag runter ist und nur über mich grinsen. Wenn mein Marcel sich wegen dieser Tussy scheiden lässt, sieht es schlecht für mich aus. Ich müsste womöglich wieder arbeiten gehen! Nach über zwanzig Jahren müsste ich wieder im Laden stehen! Es ist so ungerecht!
Vielleicht sollte ich mir von der alten Concierge doch die Adresse des vornehmen Professors geben lassen. Ich habe gehört, dass diese Heylaner sehr auf Familie stehen sollen und dass ihre ältesten Mütter enorm viel Macht haben. Vielleicht kann mein lieber Schwiegersohn meiner lieben kleinen Michelle erklären, wie wichtig es ist, die eigene Mutter zu respektieren … ganz egal, ob sie ausnahmsweise einmal etwas Dummes gesagt hat oder nicht … und vielleicht gibt er mir sogar regelmäßig ein wenig Geld und ich muss vielleicht doch nicht …
© Anneliese Wipperling