Im Dschungel deutscher Krankenhäuser: Ein Erfahrungsbericht

Ja, es wird viel geredet, es gibt Fragebögen, die pflichtgemäß abgearbeitet werden müssen und Schulungen über Kommunikation.

Da sind wir inzwischen ganz schön weit. Trotzdem kommt es immer wieder zu Misstrauen, Verzweiflung und schweren Missverständnissen.

Daran sind mit Sicherheit beide Seiten schuld.

Der Patient, der sich nicht ausführlich genug über seine Befindlichkeiten äußert. Manchmal denkt er, dass das sowieso in den Akten stehen würde, manchmal geniert er sich, manchmal hat er nicht genug oder die falschen Informationen.

Der Arzt, der sich nicht genau vorstellen kann, wo die Wissenslücken des Patienten oder der Angehörigen sind.

Das Pflegepersonal, das Aufträge ausführt und meint, dass der Patient schon alles erklärt bekommen hat.

Wenn der Patient nicht sprechen kann (ein Zustand, den ich mehrmals erleben musste), hört die Kommunikation irgendwann auf. Die eine Seite denkt, dass alles klar wäre, die andere bastelt insgeheim an Versicherungstheorien.

Nur mal ein Beispiel: Da kommt jemand nach einer missglückte OP mit seiner neuen Kanüle nicht klar. Er bekommt ein Sprechventil aufgesetzt, aber es kommt nur ein unartikuliertes Krächzen heraus, gleichzeitig wird die Luft sehr knapp.

Was kann da los sein?

Ist das die falsche Kanüle?

Ist da irgendwas anderes kaputt?

Hat es mit der Schwellung zu tun?

Soll er einfach abwarten, bis es von selbst wieder besser wird?

Welche Rolle spielt ein Bagatellinfekt, mit dem er sich gerade herumschlägt?

Doch, der Patient wurde über vieles sorgfältig informiert … ihm fehlt nur ein winziger Schnipsel Wissen: Dass es wichtig ist, den geschwollenen Teil seines Kehlkopfs zu belüften, damit er abschwellen kann. Dass er sprechen muss, auch wenn es noch so scheußlich klingt.

Der Patient ist so entsetzt über das Ergebnis seiner ersten Sprechversuche, dass er beschließt erstmal abzuwarten … und an seinem Elend zu knabbern.

Das ist gar nicht gut für ihn, frustrierend für den Arzt und wenig befriedigend für die Pflegekräfte. Alles könnte jetzt so richtig in die Hose gehen.

Einer muss als erster die richtigen Worte finden. Sonst droht Unheil.

In diesem speziellen Fall ist es der Arzt, der den gordischen Knoten zerhaut und die Informationslücke schließt.

Gut gemacht, Doc! Ich entschuldige mich für den Müll in meinem Kopf.

Also probieren wir den ganzen Schiet nochmal und krächzen jeden Tag eine Runde.

Wir sind halt alle nur Menschen und müssen jederzeit fleißig an dem Draht zueinander arbeiten.

Mein Fazit: „Nicht so schnell aufgeben und hartnäckiger fragen“

Klops Nummer 1: Die Klingel

Patienten sind hilflos, mehr oder weniger, sonst wären sie zu Hause, statt buchstäblich angebunden in einem fremden Bett herumzuliegen. Manchmal können sie nicht einmal sprechen, um ihre Wünsch zu äußern. Sie brauchen eine zivilisierte Möglichkeit, um nach Hilfe zu rufen. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass jemand kommt.

Ja, liebe Pflegekräfte, ich weiß, dass mit dem Ding gern herumgenervt wird und dass es demente Omis gibt, die ganz schnell vergessen, dass ihr eben erst alle ihre Wünsch erfüllt habt. Dass manche nur klingeln, weil sie sich gerade langweilen oder scheiße fühlen.

Aber das ist keine Entschuldigung für Missstände, die mir begegnet sind. Ich zähle sie mal auf, ohne sie bestimmten Einrichtungen zuzuordnen. Wer da Mist baut wird sich selbst erkennen:

Es ist gar keine Klingel vorhanden

  • Die Klingel befindet sich außer Reichweite des Patienten
  • Die Klingel ist kaputt
  • Die Klingel wird ignoriert

Das klingt alles banal, wenn es um die Omi geht, die 5x hintereinander die Lautstärke an ihrem Fernseher verändert haben will, aber es gibt auch echte Notfälle.

Hier nur zwei Beispiele, bei denen in dabei war:

1. Meine betagte Zimmernachbarin musste dringend auf den Schieber. Ihre Klingel war kaputt und meine außer Reichweite. Wir haben geklopft und gerufen, aber das hat trotz offener Türen und hörbarem Gelächter der Schwestern in der Nähe keine Reaktion erzielt. Am Ende lag die alte Dame in ihrem Kot und durfte sich noch ausmeckern lassen, weil das Bett frisch bezogen werden musste.

2. Wir ihr wisst, lebe ich mit einer Trachealkanüle und so ein Ding kann leider plötzlich verstopfen. Ich bin aufgewacht und bekam kaum noch Luft. Die Klingel war außer Reichweite und meine Zimmernachbarin hat nicht kapiert, dass ich in Gefahr war und hat sich lauthals darüber beschwert, dass ich sie beim Fernsehen störe. Ich musste um jeden Atemzug kämpfen, erlebte, wie das Licht langsam ausging. Irgendwann kam doch eine Schwester und hat mich von dem zähen Schmadder befreit. Die gute Seele hat übrigens von da an persönlich auf mich aufgepasst. Danke, Schwester Marlene, wo immer du jetzt sein magst, denn die Katastrophenklinik in der dieser Horror passiert ist, wurde inzwischen geschlossen.

Eine andere, auf den ersten Blick eher harmlose Gewohnheit kann übrigens dieselben verheerenden Folgen haben wie ein technischer Totalausfall: Da wird nämlich gern, nachdem der letzte Schluck Kaffee ausgetrunken wurde die Klingelei der Patienten der Reihe nach in aller Ruhe abgearbeitet. Bis die letzte Omi ihre Sonderwünsche erfüllt bekommen hat, kann die eine Patientin mit den verstopften Atemwegen längst krepiert sein.

Es wäre doch eine feine Sache, wenn besonders gefährdete Personen schon bei der Einweisung eine besondere Alarmanlage (am besten an einem Armband) erhalten würden … oder man wenigstens ab und zu einen Gedanken daran verschwenden würde, wer es eventuell besonders nötig haben könnte, dass Fachpersonal nach ihm schaut.

Besonders viel Geld und Personal würde das nicht kosten. Nur ein bisschen Grips und Empathie.

Ganz generell sollte die Klingel viel wichtiger genommen werden. Ich jedenfalls ziehe das Fazit: „Wer die Klingel nicht ehrt, ist des Vertrauens nicht wert“.

Da helfen dann auch keine Super-Innenarchitekten und kein fesches Personal. Sorry!

Klops Nummer 2: die Akten

Ja, da wird überall jeden Tag viel aufgeschrieben, So viel, dass es am Ende wahrscheinlich nur noch von Bürokraten gelesen und verstanden wird.

Ärzte in Krankenhäusern ziehen oft sofort ihren gewohnten Stiebel durch, ohne sich mit dem Papierwust ihrer Vorgänger lange aufzuhalten.

Wer dicke Beine hat, muss entwässert werden.

Wer zu viel wiegt wird auf Diät gesetzt.

Wer zu hohen Blutdruck hat, wird mit Pillen vollgestopft.

Seltsamerweise wird im Vorbereitungsgespräch stets nach Allergien gefragt, nicht aber nach Medikamentenunverträglichkeiten, Fremdorganen, fehlenden Organen oder solchen, die schon sehr schwach sind.

Das alles steht zwar irgendwo in den Akten, aber niemand findet diese Informationen.

Ich sollte mir wohl auf den Bauch tätowieren lassen: „Keine Milz vorhanden, Vorsicht Nieren bei 20%, krasse Unverträglichkeit gegenüber dem Entwässerungsmittel XY.

Diese wichtigen Informationen werden selbst von Ärzten, die dabei waren, als ich wegen der geplatzten Milz in die Notaufnahme musste, ein paar Monate später nicht immer berücksichtigt.

Da mag Stress dahinter stecken.

Mangelnde Nähe, schließlich ist der Patient kein Verwandter … und natürlich gewöhnliche Schlamperei oder ein Fehler im Datensystem.

Ja. Bei mir ist gerade eine OP schiefgegangen. Alle sind deswegen traurig und aufgeregt, wollen ihr Bestes geben, um den völlig unverständlichen Schaden wieder gerade zu biegen.

Ich grüble: Haben die bei Vorbereitung und Durchführung der OP meine erhöhte Gefährdung durch bakterielle Infektionen berücksichtigt oder den Fall einfach nach Schema F durchgezogen?

Gefragt wurde ich nicht danach.

Eigentlich bräuchte jeder Mensch eine Chipkarte, auf der solche Infos gespeichert werden – oder eben die altmodische Tätowierung.

Es gibt Fehler, die so schlimme Folgen haben, dass man sie nicht einmal sich selbst verzeihen kann.

Deshalb wird vermutlich alles, was vorhanden ist, unter den berühmten Teppich gekehrt werden.

Ich muss erstmal sehen, ob sich einige besonders schlimme Folgen des Desasters wieder rückgängig machen lassen.

Ob noch ein bisschen gutes Leben fuer mich drin ist.

Ob jemamd was verbockt hat, interessiert mich weniger.

Wenn ja, wird derjenige auch nicht gluecklich werden.

Wenn nicht, und alles nur ein dummer Zufall war, um so besser.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ich schaetze, Klops 2 ist so weit verbreitet, dass man auf Bundesebene damit aufraeumen muss.

Mein Fazit: „Weniger Datenmuell und dafuer die wichtigsten Infos auf die Gesundheitskarte.“

In dem Fall scheisse ich auf den Datenschutz. Ueberleben ist wichtiger.

Allerdings muss man aufpassen, dass eifrige Bürokraten aus der Gesundheitskarte keinen neuen Datendschungel machen.

Klops Nummer3. Die Fließbandmedinzin

Ich vermisse meine gute alte Hausärztin. Da ging es gemütlich und familiär zu. Sie ging sogar selbst ran, wenn man ihre Nummer wählte. Für Routinekram gab es ein Servicetelefon, sämtliche Messungen erledigte eine gemütliche Schwester routiniert und freundlich. Ich kannte sie alle gut und mochte sie sehr.

In Berliner Großpraxen geht es anders zu.

Da gibt es für jeden winzigen Arbeitsschritt eine extra Kammer mit einem Menschen darin, der den ganzen Tag lang das gleiche macht.

  • Einer misst den ganzen Tag lang Blutdruck
  • Einer misst nur Blutzucker
  • Einer bedient die Waage.

So arbeitet man sich als anonymer Fleischklumpen bis zum letzten Vorhof zur Hölle vor. Zum Wartezimmer des Arztes. Man fühlt sich wie ein Gegenstand, der hin und her geschmissen wird. Der Arzt ist der letzte Roboter, der nach irgendeinem Algorithmus die Entscheidungen trifft. Schriftlich kriegt man die dann am Empfang in die Hand gedrückt.

Das Ganze ist so unpersoenlich dass es schon dystopische Zuege animmt.

Oh ja die heilige Effizienz des Kapitalismus! Da ist kein Raum für einen Scherz, ein persönliches Wort oder gar Ängste.

Der Fleischklumpen ist froh wenn er wieder draussen ist.

Ich kann mir allerdings auch nicht vorstellen, dass es Spass macht, der Blutdruck- oder BZ-Roboter zu sein.

Vielleicht hat ja der Doc seinen Spaß … aber vielleicht würde der auch lieber richtige Menschen statt Fleischklumpen behandeln. Kann aber auch sein, dass er im vorigen Leben Klempner war und ihm seine Werkstücke sch***egal. So geht es am schnellsten. Time is money.

Stimmt schon. Das ist effizient und sichert eine gewisse mittlere Qualitaet.

Ich finde aber, dass diese mechanische Anonymität auch eine Fehlerquelle sein kann. Ein ungewöhnlicher Messwert würde in meiner alten Hausarztpraxis sofort auffallen. Was sage ich … meine Frau Doktor würde es mir an der Nasenspitzen ansehen, wenn irgendwas nicht stimmt.

Ansatzweise gibt es die Fliessbandmedizin auch in den Vivantes-Krankenhaeusern.

  • Leute, die nur Essen verteilen
  • Leute die irgendwas messen
  • Leute, die den ganzen Tag Spritzen geben.

Jede Truppe hat ihre eigenen Zeitpläne und ist für sich allen effizient.

Fuer einen Diabetiker kann das z.B. bedeuten, dass zwischen dem Anschluss der Nahrung und der Verabreichung des Insulins keine oder nur eine unzureichende Korrelation besteht.

Das bedeutet, dass schädliche Spitzenwerte auftreten können und typische Diabetesfolgeschäden befördert werden.

Zumindest tut so eine Fließbandbearbeitung nicht gut.

Spritzenbrigade!

Bringt sie wirklich so viel, dass man die Nachteile dieser Arbeitsweise ignorieren kann?

In unserer Pflege-WG wissen die Pflegekräfte, für wen sie zuständig sind. Die Arbeit wird nach Menschen aufgeteilt und das funktioniert in mehrere Hinsicht gut.

Die Klienten fuehlen sich wohler.

Die Abläufe sind harmonischer.

Es passieren kaum Fehler.

Mein Fazit: „Fließband-Medizin ist unmenschlich – auf die eine oder andere Weise.

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