Lyrik


Freiheit

Etwas tun. Etwas nicht tun.
Etwas denken, etwas vergessen.
Etwas verpassen.

Schlafen, fliegen und leben nach eigenem Gesetz.
Flügelspitze an Flügelspitze
Und dennoch allein.
Ganz allein.

Alles gehört allen – auch die Wahrheit.

Sie hat tausend Gesichter.

Alle sind groß und schön.
Alle sind traurig.

Keins ist unwichtig.

(2015)


Das alte Haus

Wände retardieren zu Sand
zu gelben Wanderdünen
im Westwind.

Weißes Licht stanzt filigrane Muster
ins papierdünne Dach.

Es regnet lauwarm.

Aus morschen Balken
treiben Äste mit flüsternden
falben Blüten.

Die Luft schmeckt modrig
nach den Klagen
längst vergessener Geister.

Wer nicht aufpasst,
wird von dem sterbenden Haus
gefressen.

Doch Heerscharen von Träumen
schaben bereits mit scharfen Klingen
die Fraßspuren der Zeit vom Holz
und vom Stein.

Kräftige Hände
meucheln den Schwamm.

Zwischen losem Geröll im Keller
sprudeln schon erste
Fontänen aus rotem Wein.

Und helles Lachen
scheucht die Gespenster
ins Gestern zurück.

(C) 2013


South Dakota

Kühle Wasser des Mondes
fluten lautlos über
gestohlenes
Land

In trockenen
Blutlachen kleben
immer noch
schwarze Boote
aus Leder

Wölfe huschen
um das letzte
bemalte Zelt

Meine nackten Füße
sind gefesselt

Zucken
bei jedem Schrei

Die Furcht
frisst mich

Ich bin
ein ehrloser Dieb

Ein weißer Dieb

Einer von
Vielen

(April 2007)


Vertrau mir!

Komm,
leg dein Regenherz
in meine Hände aus Lehm!
Ich will es eintauchen
in die blauen
Wunden der Erde
und es wird heimfinden
von den Bergen
als Schnee.

Komm,
leg dein Vogelherz
in meine Hände aus Wind!
Ich will es hochwerfen
in den weiten
gierigen Himmel
und es wird heimfinden
aus dem Weltall
als Eis.

Komm,
leg dein Menschenherz
in meine Hände aus Blut!
Ich will es festhalten,
bis die matte
Farbe erblüht ist
und es wird aufwachen
in unseren Mündern
als Lied.

(1974/2006)


zerstörung

schrei

splitterndes glas
wolken aus kalk

messer aus licht
in rostige
säulen

zitternder klang
zersprengten metalls

aufstieg
verwundeter vögel

schweben
mit tropfenden schwingen

firmament
aus blutigen federn

hoch über uns

rot

(1974/2006)


Grüne Ballade

Zwischen
rostigen Schienen und
öligen Lappen
bauschen sich
bunte Sträuße.

Kamille.
Disteln.
Wegwarte.

Hierher entflohen
die Schmetterlinge
aus den Einöden
der Felder.

An der Schiebebühne
stehe ich,
flöte
auf einem Grashalm.

Da windet sich
tänzelnd
ein schwarzes Seil
in die Höhe.

Mühsam klettern
die bunten Falter empor.

Käfer.
Raupen.
Spinnen.

Das Seil schwankt
weit oben
über Rauch
und Gestank.

Den Kopf im Nacken
lass ich
die Flöte
sinken.

Da klatscht
das Seil schwer
auf die Erde.

Aus luftiger
blauer Höhe
fallen
rostige Schrauben.

Bolzen.
Muttern.
Nägel.

Es bleibt
ein schwarzes Seil
zwischen Schrott
und Putzwolle.

Und ein Kranz
verwaister,
strahlender
Blüten.

(1983)


Die Insel

Ein Meer
leuchtend, tief und schön …
darüber
der Sterne strahlende Flammen,
ganz nah
und die schwebenden
spielenden Wolken …

Diesseits:
aus funkelnder Kälte
diamantnen Kristallen
logisch und hart
ein ragender Gipfel …

Jenseits
züngelnde Flammen
wild, ungezügelt, glühend,
ein Chaos …

Dazwischen liegt ein nacktes Eiland
zerrissen, taumelnd von einem zum andern
keine Zuflucht
ein Niemandsland zwischen zwei Fronten
keine Rettung.

Ein schaukelnder Nachen
im tiefen, herrlichen Meer …

Dort bin ich geboren.
Dort ist meine Heimat.

(1970)


Die Brücke

Wir selbst haben
den Graben geschaufelt
zwischen uns.

Jetzt
sind wir müde
und leer.

Wir können uns
nicht mehr
berühren.

Nur noch
ansehen.

Und solange
von einer Brücke
träumen,
bis die Zeit
mit ihren
sanften Händen
aus Regen und Wind
eingeebnet hat,
was uns trennt.

(1987)


Gewalt

Blut schreit nach Blut!
Verwandelt Äcker
und Wiesen
in roten Morast.

Wir versinken darin.
Unsere Hände
greifen hilflos
ins Leere.

Die Menschheit erstickt!
Ihre Lieder
verstummen.

Wir können nur
hoffen, dass man
uns ausgräbt
und reinigt.

Ausgräbt
und
reinigt.

(2004)